Wie würden Sie entscheiden? – Führungsphilosophie in der Praxis des Führungsalltags

Wolfgang Grilz von Trigon zum Thema Werthaltungen bei Führungsentscheidungen.

Ein Mitarbeiter erwartet sich eine Beförderung, welche nicht durch Sie selbst zu entscheiden ist. Sie als Abteilungsleiter wissen allerdings bereits, dass ihm jemand anders vorgezogen wird.

Zur Zeit sind Sie mit diesem Mitarbeiter in einer äußerst heiklen Phase eines Projektes. Sie wissen, dass die Nachricht über die Ablehnung der Beförderung sehr negative Auswirkungen auf die Motivation des Mitarbeiters und auf den Projektverlauf haben wird.

Sagen Sie nun dem Mitarbeiter die Wahrheit, wenn er Sie nach Ihrem Wissensstand in Bezug auf die Beförderung fragt oder schieben Sie die Information an ihn auf und warten auf eine günstigere Gelegenheit?

Bevor Sie weiterlesen: Denken Sie darüber nach, wie Sie selbst in dieser Situation handeln würden?

Dieses Beispiel für eine Entscheidungssituation aus dem Führungsalltag entstammt dem Buch „Philosophie der Führung“ von Dieter Frey und Lisa Schmalzried. Es eignet sich gut zur Betrachtung der Frage von Unternehmens- und Führungswerten. Zwei Moraltheorien, die sich für die Beantwortung dieser Frage eignen, sind jene von Immanuel Kant und John Stuart Mill.

Die beiden werden nicht selten als die zwei großen rivalisierenden Moraltheoretiker betrachtet. Mill wie Kant suchten nach einem grundlegenden Werteprinzip, an dem wir unsere Entscheidungen ausrichten können.

Sehen wir uns zunächst Mill an. Seine Antwort auf diese Frage ist das Nützlichkeitsprinzip. Es besagt, das wir jene Handlung wählen sollen, die den größten allgemeinen Nutzen erbringt. Hier gilt es, eine klare Abgrenzung vom Einzelnutzen zu treffen. Es geht Mill also nicht um den Nutzen eines der beiden Beteiligten, sondern tatsächlich um jenen aller Beteiligten sowie des Umfeldes.

Nach Mill wäre es moralisch durchaus gerechtfertigt, wenn Sie die Information aufschieben. Erstens haben Sie keinen Einfluss mehr auf die Entscheidung. Zweitens, es nützt dem Mitarbeiter nichts, wenn er es jetzt und nicht erst in drei Wochen erfährt. Dagegen nützt es dem Unternehmen sehr, wenn das Projekt gut abgeschlossen wird und der Mitarbeiter sein volles Engagement dafür einsetzt. Der allgemeine Nutzen ist also im Falle eines Aufschubes größer als wenn Sie die Information sofort geben.

Im Zentrum von Kants Moralphilosophie steht der Kategorische Impertiv: „[…] handle nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde […]“. Folgt man der kantianischen Ethik würde man sich also in diesem Fall die Frage stellen: Was würde passieren, wenn wir alle in jenen Fällen, in denen es vorteilhafte Konsequenzen hätte, nicht die Wahrheit sagen würden?

Im konkreten Fall: welche Folgen hätte es für die Zusammenarbeit mit MitarbeiterInnen, wenn diese ganz generell damit rechnen müssten, dass wir ihnen auf ihre Fragen hin nicht die Wahrheit sagen, falls wir Vorteile darin sehen. Letztlich würden MitarbeiterInnen ihren Führungskräften nicht mehr über den Weg trauen. Konsequenterweise würde die Kommunikation zerstört werden, weil man nie weiß, ob das was gesagt wird auch dem tatsächlichen Wissensstand der Führungskraft entspricht.

Eine kantianisch handelnde Führungskraft würde die obige Situation demnach anders beurteilen. Der Vorgesetzte würde dem Mitarbeiter die unangenehme Nachricht mitteilen, sobald er explizit danach gefragt wird.

Das Beispiel zeigt, dass unterschiedliches Führungsverhalten durch Werthaltungen geprägt ist. Die Auseinandersetzung mit Wertfragen ist ein zentrales Mittel zur Entwicklung der Unternehmens- und Führungskultur. Neben dem Beherrschen von Führungsinstrumenten gibt die Wertereflexion Führungskräften Orientierung und Sicherheit und erhöht die Konsistenz in derem Handeln.

 

Literatur: Dieter Frey und Lisa Schmalzried, Philosophie der Führung. Berlin und Heidelberg 2013.

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